Das Bundesgerichtsurteil vom 17. Oktober 2019 im Fall Schmitten [PDF Version vom Artikel]
Sieben Punkte die belegen, dass der «Fall Schmitten» für die geplante Umfahrung in Santa Maria von geringer Relevanz ist:
1. Volksauftrag: Auf Gemeindeebene wurde 2013 mit einem wuchtigen Mehr von 83% der Stimmen beschlossen, dass eine Umfahrung für Santa Maria notwendig ist. Der bindende Auftrag an die kommunalen Organe und die Forderung an den Kanton könnten klarer nicht sein. [Quelle 1, siehe unten]
2. Tagesverkehr: Im Schnitt fahren täglich 2’340 Fahrzeuge durch Santa Maria. Der durchschnittliche Tagesverkehr, DTV liegt damit um über 50% höher als in Schmitten. Während der Spitzenzeiten sind es über 5’500 Fahrzeuge täglich. Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2017; aktuellere sind Stand heute (10.08.2020) nicht verfügbar. Aufgrund des starken Wachstums dürfte die Verkehrsdichte heute signiCkant höher liegen. [Quelle 2]
3. Verkehrswachstum: Das Verkehrsaufkommen (DTV) ist in den letzten vom Bund gemessenen fünf Jahren 2012-2017 um über 10% gestiegen. Das Verkehrsaufkommen an Spitzentagen ist im gleichen Zeitraum um über 25% gestiegen. — In Schmitten ist der Verkehr im gleichen Zeitraum um 1% zurückgegangen. Überhaupt gibt es kantonsweit nur zwei Messstellen für die ein höheres Wachstum als für Santa Maria ausgewiesen wird. [Quelle 3] Jedes Jahr wächst insbesondere auch der Anteil schwerer Sattelschlepper, Anhängerzüge und Motorräder.
4. Lärm: In Santa Maria wird an vielen Stellen entlang der Hauptstrasse der Immissionsgrenzwert (IGW) für Lärm nach Lärmschutzverordnung (LSV) überschritten. Teilweise wird sogar der Alarmwert (AW) erreicht. Konkret werden Alarmwert-Überschreitungen für insgesamt fünf Gebäude im generellen Strassenlärmbelastungskataster (LBKgen) ausgewiesen. In Schmitten wird gemäss Kataster für kein Gebäude der Alarmwert erreicht. [Quelle 4]
5. Umweltaspekte: Für Santa Maria haben Kanton und Gemeinde eine äusserst sorgfältige Umfahrungsplanung ausgearbeitet. Die Umfahrungsstrasse soll südlich am Dorf vorbeigeführt werden. So werden die empfndlichen Trockenwiesen von nationaler Bedeutung (z.B. in La Crusch und Costeras)und das emp5ndliche Gebiet am Rombach (Objekt Il Rom Valchava-Graveras) nicht beeinträchtigt. Diese beCnden sich auf der anderen Talseite bzw. am Talboden. Genau diesen Biotopen von nationaler Bedeutung kommt jedoch im Fall Schmitten (juristisch) eine entscheidende Bedeutung zu, denn sie sind explizit durch ein Bundesgesetz geschützt. Im Fall Schmittens waren zwei inventarisierte Trockenwiesengebiete von nationaler Bedeutung betroffen.
In Santa Maria sind keine Schutzgebiete von nationaler Bedeutung betroffen. Lediglich das Objekt Valchava-Graveras wird für den Bau einer Wasserleitung temporär beeinträchtigt sein. [Quelle 5 i.V.m. Bundesgesetz über den Schutz der Trockenwiesen von nationaler Bedeutung; Kataster/ Bundesinventar und kantonales Inventar der Schutzgebiete; vgl. auch BGRE
Schmitten, ZiL. 5 L.]
6. Verkehrstechnische Ausgangslage: Im Falle Schmittens hat das Bundesgericht auf der Basis eines Gutachtens auch auf die Lösung durch eine Lichtsignalanlage verwiesen (ZiL. 7.1). In Santa Maria ist eine Lichtsignal-Lösung aufgrund des Umbrail-Anschlusses ungleich schwieriger umzusetzen. Auch gibt es aus der Fahrtrichtung Umbrailpass nicht genügend Stauraum.
Weiter ist anzumerken, dass die blosse Regelung des Verkehrs die Sicherheit der schwächsten Verkehrsteilnehmer (alte Menschen, Kinder oder Menschen mit einer Beeinträchtigung) nur beschränkt verbessern würde und genau darum muss es primär gehen. Weniger Gebäudeschäden, Lärm, Feinstaub und Abgase sind von einem Ampelsystem ebenfalls nicht zu erwarten. Ruhesuchende Touristen (die Zielgruppe des Val Müstair) werden vom dichten Verkehr abgeschreckt. Der Tourismus als wirtschaftliche Grundlage für viele Menschen im Dorf bleibt gefährdet.
7. Planungs- und Auflageverfahren: Im Falle Schmittens war ursprünglich eine Tunnellösung (sog. «Nordvariante») im kantonalen Richtplan verankert gewesen (BGRE Schmitten, Lit. B). Vom Kanton aufgelegt wurde dann jedoch die Variante einer Südumfahrung ohne Tunnel. Die entsprechende Anpassung des kantonalen Richtplans war vorgängig vom Bundesrat nicht genehmigt worden. Das Kantonale Tiefbauamt (TBA) wird diese Einsicht aus dem Projekt in Schmitten für Santa Maria berücksichtigen. Die Planungsarbeiten wurden bereits entsprechend angepasst. Auch weitere Einsichten aus dem Entscheid zu Schmitten werden aktuell umgesetzt, so z.B. die Anforderung eine umfassende Interessenabwägung einschliesslich Variantenprüfung durchzuführen.
Quellen und Informationsnachweise:
Quelle 1: Riassunt decisiuns radunanza cumünala dals 04.10.2013; Website CDVM: Romanisch Deutsch
Quelle 2: Jahresübersichten der Verkehrsfrequenzen und Zählerstandorte, Tiefbauamt Kanton Graubünden; Jahr 2017
https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/bvfd/tba/dokumentation/DokumentationDokumente/70-40-20_verkehrszahlen-2017.pdf
Quelle 3:
Quelle 4: Interaktive Karte zur Darstellung der Lärmbelastung im Strassenverkehr; Infoblatt Genereller Strassenlärmbelastungskataster; Amt für Natur und Umwelt, Kanton Graubünden https://map.geo.gr.ch/gr_webmaps/wsgi/theme/Laermbelastungskataster%20Strassen
Quelle 5: Bundesamt für Umwelt, BAFU; Bundesinventar der Biotope von nationaler Bedeutung für Hoch- und Übergangsmoore, Flachmoore, Auengebiete, Amphibienlaichgebiete sowie Trockenwiesen und -weiden https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung.html
Quelle 6: Quelle Bundesgerichtsentscheid zum Fall Schmitten:
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F17-10-2019-1C_528-2018&lang=de&type=show_document&zoom=YES&